Machtdiskurse in den Psalmen: zwischen Staunen, Hoffnung und Widerstand
Jahrestagung der AGAT 2024
Zahlreiche Psalmen thematisieren göttliche und menschliche Machtausübung, wobei sich die Psalmbeter:innen häufig in der Rolle der von dieser Macht (positiv oder negativ) Betroffenen darstellen, die mit Staunen, Hoffnung, aber auch Widerstand darauf reagieren. Ziel der Tagung ist es, die unterschiedlichen Konstruktionen von Macht sowie die Machtdiskurse in den Psalmen zu erschließen.
Dazu wollen wir in vier thematischen Blöcken die in den Psalmen thematisierte Macht beleuchten:
1. Göttliche und menschliche Macht in den Psalmen
2. Die Macht der Widersacher in den Psalmen
3. Ohnmacht und Widerstand in den Psalmen
4. Deutungsmacht der Psalmen
Tagungsort und Datum
Anmeldung
Anmeldefrist: 21.05.2024
Programm
7.15 Heilige Messe in Maria Königin des Friedens (Zelebrant: Pfr. Markus Hoitz)
Ab 8.00 Frühstück
Panel 1: Göttliche und menschliche Macht in den Psalmen
9.00–9.50 "Steh auf, JHWH, nicht werde stark der Mensch!" (Ps 9,20). Zur "politischen Theologie" und ihrer Symbolik in Psalmen und Psalter (Friedhelm Hartenstein)
9.55–10.45 Macht, Ohnmacht und Ermächtigung. Die Beschreibung menschlicher Macht in den Psalmen (Magdalena Lass)
10.45 Kaffee
11.10–12.00 "Er bestellte mich zum Herrscher für die Anhänger seines Bundes" (11QPsa 28,11f/Ps 151,7). 11QPsa und sein Machtanspruch - Eine Spurensuche (Carolin Neuber)
12.30 Mittagessen
14.00–15.30 Shortpapers (4 Sessions parallel)
Session 1: Macht der Feinde im Seminarraum 1 (Achtung: geänderter Raum!)
Von Zerstörern und Zerstörtem: "Ebenen" der Macht in Ps 74 (Dr. Florian Lippke)
Leiblichkeit als Lektüreperspektive für Machterfahrungen in Psalm 129 (Lara Westermeyer)
Machtdiskurse der Psalmen im Spiegel des Ijobbuches (Dr. Juliane Eckstein)
Session 2: Göttliche Macht – menschliche Macht im Konferenzsaal
Ps 139 zwischen Überwältigung und Selbstermächtigung (Mag. Theol. Philipp Graf)
König oder Priester? Macht- und Messiasdiskurs in Ps 132 (Lic. theol. Maximilian Häberlein)
Unser Gott ist im Himmel. Alles, was ihm gefällt, macht er (Ps 115,3). Machträume, Machbarkeiten und Ohnmacht in Ps 115 (Dr. Martin Nitsche)
Session 3: Identitätsdiskurse im Seminarraum 3
Wessen Perspektive zählt? Die Psalmen 137 und 138 als Träger innerjudäisch kontroverser Identitätsdiskurse (PD Dr. Veronika Bachmann)
Gesucht: Ein/e Psalmenbeter*in (m/w/d). Psalmen und Geschlecht (Prof. Dr. Mathias Winkler)
Dresden/Graz: Ich, weiblich, Gott – Anthropologie in Ps 131 (Mag. Theol. Hannes Neitzke)
Session 4: Intertextualität entfällt (!)
15.30 Kaffee
Panel 2: Macht der Widersacher in den Psalmen
16.00–16.50 "JHWH, wer ist wie du, rettend einen Elenden vor dem, der stärker ist als er?" (Ps 35,10). Feindschaft und Macht in den Psalmen 35–41 (Johannes Schnocks)
17.00–17.50 Gott der Rache: Schlaglichter auf die Rezeption von Ps 94 (Susanne Gillmayr und Agnethe Siquans)
18.30 Abendessen
19.30 Geschäftssitzung (Achtung: geänderte Anfangszeit!)
Ab 7.30 Frühstück
8.30–8.45 Morgengebet im Garten des AZK (Marlen Bunzel/Martin Nitsche)
Panel 3: Ohnmacht und Widerstand in den Psalmen
9.00–9.50 Davids Ohnmacht. Diskurse in und mit den Psalmen (Ilse Müllner)
9.55–10.45 Liberative and Hegemonic Spaces – das Psalmenbuch in postkolonialer Perspektive (Kathrin Gies)
10.45 Kaffee
11.10–12.00 Wege aus der Ohnmacht. Klagepsalmen mit Traumahermeneutik lesen (Irmtraud Fischer)
12.30 Mittagessen
14.30–15.00 Uhr Posterpräsentationen
ab 15 Uhr: Kulturprogramm
Abend: Festliches Abendessen im Bredershof
Ab 7.30 Frühstück
8.30–8.45 Morgengebet im Garten des AZK (Philipp Graf und Lara Westermeyer)
Panel 4: Deutungsmacht der Psalmen – Rezeption
9.00–9.50 "Höre meine Stimme!” – “Can the subaltern speak?". Die Rezeption der Psalmen in der Liturgie (Egbert Ballhorn)
9.55–10.45 Koranische Rezeption der Psalmen am Beispiel koranischer Machtdiskurse (Mouhanad Khorchide)
10.45 Kaffee
11.10–12.00 Schlussdiskussion
Schlussstatements: Christina Kumpmann, Veronika Bachmann, Benedict Schöning.
12.30 Mittagessen
Organisatorische Informationen
Die Anmeldung erfolgt bis zum 21. Mai 2024 ausschließlich über das Anmeldeportal.
Die bei der Auswahl angezeigten Preise sind die Gesamtpreise. Da die Bezahlung der Übernachtung und Verpflegung individuell im Tagungshaus erfolgt, sind im Bestellvorgang nur noch die Tagungsgebühren sowie ggf. die Gebühren für die Teilnahme am Kulturprogramm zu entrichten. Die Bezahlung erfolgt per Überweisung. Sie erhalten eine Rechnung.
Die Tagung findet im AZK Königswinter statt. Alle Informationen entnehmen Sie der Webseite des Tagungshauses.
Das Tagungshaus ist gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.
Anreise über Bonn Hbf:
Gehen Sie von den Bahngleisen zu den Straßenbahngleisen in Bonn Hbf (tief).
Nutzen Sie die Straßenbahn 66 Richtung Königswinter bzw. Bad Honnef.
Fahren Sie bis Königswinter Longenburg.
Laufen Sie Richtung Rhein, biegen Sie bei der ersten Möglichkeit rechts in die Hauptstraße ab und wiederum bei der ersten Möglichkeit links in Johannes-Albers-Allee.
Anreise über Siegburg/Bonn:
Nutzen Sie die Straßenbahn 66 Richtung Richtung Königswinter bzw. Bad Honnef.
Fahren Sie bis Königswinter Longenburg.
Laufen Sie Richtung Rhein, biegen Sie bei der ersten Möglichkeit rechts in die Hauptstraße ab und wiederum bei der ersten Möglichkeit links in Johannes-Albers-Allee.
Die Anmeldung zum Kulturprogramm erfolgt mit der Tagungsanmeldung. Es kann aus drei Optionen gewählt werden:
1) Besuch der Doppelkirche Sankt Maria und Clemens in Schwarzrheindorf mit Dialogführung durch Prof. Dr. Christoph Dohmen und Prof. Dr. Michael Konkel zum Ezechiel-Zyklus.
2.1) Besuch des Arp-Museums in Rolandseck mit Führung durch das Haus und die Dauerausstellung.
2.2) Besuch des Arp-Museums in Rolandseck mit Führung durch die beiden Wechselausstellungen „Der Die DADA“ und „Kiki Smith“.
Weitere Informationen finden Sie hier.
Die Tagung wird inhaltlich durch Sigrid Eder, Kathrin Gies, Susanne Gillmayr-Bucher, Johannes Schnocks und Agnethe Siquans vorbereitet.
Kulturprogramm
Für das Kulturprogramm kann aus drei Optionen gewählt werden:
1) Ein Besuch in der Doppelkirche Sankt Maria und Clemens in Schwarzrheindorf
Die Doppelkirche ist weit über den Bonner Raum für ihre spezielle romanische Sakralarchitektur und ihre künstlerische Ausgestaltung mit umfangreichen Fresken bekannt. Die Doppelkirche ließ der Kölner Erzbischof Arnold II. von Wied im 12. Jahrhundert bauen und u.a. mit beeindruckenden Wandmalereien ausstatten. Prof. Dr. Christoph Dohmen und Prof. Dr. Michael Konkel werden uns in einer Dialogführung dieses Kleinod erschließen und besonders den umfangreichen Ezechiel-Zyklus für uns deuten und zum Leben erwecken.
Kosten: 4€/Person.
Die Anreise nach Schwarzrheindorf erfolgt zur Fuß und mit Bus und Bahn. Wer kein Deutschland-Ticket hat, löst bitte selbst einen Fahrschein. Eine Gelegenheit zur gemeinsamen Anreise in der Gruppe wird angeboten.
Infos zur Doppelkirche:
https://www.katholisch-an-rhein-und-sieg.de/kirchen/st.-maria-und-st.-clemens/
https://www.kuladig.de/Objektansicht/O-58210-20121212-2
2) Ein Besuch im Arp-Museum Rolandseck
Als eines der schönsten Kunstmuseen im Rheinland besticht das Arp Museum Bahnhof Rolandseck durch seine einzigartige Architektur. Bestehend aus dem historischen Bahnhofsgebäude und dem modernen Bau des amerikanischen Architekten Richard Meier, eröffnet das Museum einen beeindruckenden Ausblick über den Rhein auf das gegenüberliegende Siebengebirge.
Die Dauerausstellung präsentiert das Oevre von Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp. Sie zählen zu den bedeutendsten Künstlern der Avantgarde im 20. Jahrhundert. Die Sammlung Arp des Landes Rheinland-Pfalz umfasst über 400 Kunstwerke des Künstlerpaares.
Im September sind im Arp-Museum überdies zwei Wechselausstellungen zu sehen. Die Ausstellung „Der Die DADA“ ist dem Beitrag von Künstlerinnen zum Dadaismus gewidmet. Daneben zeigt die Ausstellung „Verwobene Welten“ Tapisserie-Arbeiten der Künstlerin Kiki Smith, die zu den einflussreichsten feministischen Künstlerinnen ihrer Generation gehört.
Für den Besuch des Arp-Museums stehen zwei alternative Führungen zur Auswahl:
2.1) Führung durch das Haus und die Dauerausstellung (90 Min.).
2.2) Führung durch die beiden Wechselausstellungen „Der Die DADA“ und „Kiki Smith“ (90 Min.).
Die Anreise erfolgt mit der Straßenbahn bis zum Fähranleger in Bad Honnef. Von dort setzen wir mit der Fähre über nach Rolandseck. Wer kein Deutschland-Ticket hat, löst bitte selbst einen Fahrschein für die Straßenbahn. Das Fährticket lösen wir als Gruppenfahrschein, es ist im Preis inbegriffen.
Kosten: 15 €/Person (inkl. Führung, Eintritt und Fähre)
Im Anschluss findet ab 19:30 Uhr das festliche Abendessen im Bredershof statt.
Abstracts der Vorträge
Eröffnungsvortrag (Sigrid Eder)
Nach Darlegung verschiedener Dimensionen aktueller Machttheorien sowie hebräischer Begrifflichkeiten und exemplarischer Machtkonstellationen in den Psalmen zeigt der Vortrag ausgewählte Stationen in der Forschungsgeschichte der Psalmen auf, an denen die Machtfrage virulent wurde.
„Steh auf, JHWH, nicht werde stark der Mensch!“ (Ps 9,20). Zur „politischen Theologie“ und ihrer Symbolik in Psalmen und Psalter (Friedhelm Hartenstein)
Für Psalmen und Psalter erweist sich das von Jan Assmann erneut ins Gespräch gebrachte Konzept einer „politischen Theologie“ als wertvolle Verstehenshilfe: a) Im Hintergrund fast aller Psalmen steht eine langzeitige soziale wie kosmische Ordnungssymbolik. b) Für den werdenden masoretischen Psalter ist eine explizit politische Theologie leitend: Die alleinige Königsherrschaft JHWHs, des Schöpfers, wird im Licht der Ausei-nandersetzung um die Weltordnung mit den Völkern (außen) und den Frevlern (innen) politisch und anthropologisch profiliert. Nach einer Übersicht über Grundelemente der Symbolik der Macht Gottes im Psalter möchte ich dies anhand von drei Texten, die eine kompositorische Schlüsselposition in ihrem Kontext einnehmen (Ps 9/10; Ps 18; Ps 146) etwas genauer beleuchten. Es geht um die bewusste Behauptung der Handlungsmacht JHWHs angesichts von Leid, Ungerechtigkeit und Tod.
Macht, Ohnmacht und Ermächtigung. Die Beschreibung menschlicher Macht in den Psalmen (Magdalena Lass)
Viele Texte der Psalmen beschreiben die Ohnmacht des lyrischen Ichs gegenüber mächtigen Feinden und die Bitte an Gott, doch machtvoll einzugreifen. Kommt es zu einer Rettung, so wird diese oft durch eine Ermächtigung durch Gott beschrieben. Der Vortrag möchte einen kurzen Überblick darüber geben, wie menschliche Macht in den Psalmen thematisiert wird und sich dann auf die Textstellen konzentrieren, in denen von der Macht, Machtausübung oder Gewaltanwendung des lyrischen Ichs die Rede ist.
"Er bestellte mich zum Herrscher für die Anhänger seines Bundes" (11QPsa 28,11f/Ps 151,7). 11QPsa und sein Machtanspruch - Eine Spurensuche (Carolin Neuber)
Ein Psalmen-Manuskript aus Qumran, wie es prominent in 11QPsa erhalten ist, stellt eine bewusst vom MT abweichende, gruppenspezifische Bildung dar. Bereits ein erster Blick auf die Psalmenfolge macht deutlich, dass hier kaum etwas von den Kompositionsstrukturen des MT erhalten ist. Mit diesem Psalmen-Manuskript wird offenbar der Anspruch auf Deutungshoheit einer bestimmten Gruppe gegen den Machtanspruch der Priester am Jerusalemer Tempel gestellt. Die Komposition lässt nur Spuren dieses Konflikts erkennen, der u.a. in den Hodayot deutlich prägnanter ausgedrückt wird.
"JHWH, wer ist wie du, rettend einen Elenden vor dem, der stärker ist als er?" (Ps 35,10). Feindschaft und Macht in den Psalmen 35–41 (Johannes Schnocks)
In der letzten Psalmengruppe des ersten Davidpsalters, Ps 35–41, sind die Widersacher nicht nur besonders präsent, sondern werden in vielen Facetten beschrieben und kommentiert. Der Vortrag will jenseits von Gattungsfragen die Funktion der Rede von diesen Gegnern in jedem der Psalmen erörtern und greift dabei auf die Unterscheidung grundlegender kultureller Feindbildmuster zurück. Am Ende steht die Frage, mit welchen inhaltlichen Akzenten sich die Rede von den Gegnern durch die Gruppe zieht, was sich hier auch diachron verändert und wie damit menschliche und göttliche Macht zur Sprache kommt.
Gott der Rache: Schlaglichter auf die Rezeption von Ps 94 (Susanne Gillmayr und Agnethe Siquans)
Der Vortrag fragt nach der Rezeption der vielschichten Thematik von Macht und Gewalt in Ps 94. Der erste Teil beschäftigt sich mit der patristischen (Augustinus, Theodoret, Cassiodor) und rabbinischen Auslegung (Midrasch Tehillim). Der zweite Teil führt die Auslegung- und Wirkungsgeschichte von der Reformationszeit bis in die Gegenwart fort. Dabei werden auch künstlerische Interpretationen (illustrierte Psalterhandschriften oder lyrische Psalmübertragungen) mit einbezogen.
Davids Ohnmacht. Diskurse in und mit den Psalmen (Ilse Müllner)
Dass die David zugeschriebenen Psalmen einen verletzlichen, oft auch ohnmächtigen König zeigen, ist schon häufig aufgefallen. Davids Vulnerabilität kommt in den Psalmcor-pora poetisch zum Ausdruck und wird in den situativ verorteten Psalmüberschriften mit Davids Biographie, wie sie in den Samuelbüchern erzählt wird, in Verbindung gebracht. Der Vortrag will herausarbeiten, welches Davidbild durch die Verbindung zwischen den Psalmen und den Davidserzählungen entsteht und auch, was das mit der Königsvorstel-lung und mit der politischen Theologie des Ersten Testaments zu tun hat.
Liberative and Hegemonic Spaces – das Psalmenbuch in postkolonialer Perspektive (Kathrin Gies)
Postkoloniale Zugänge zu biblischen Texten verstehen diese zum einen als Produkt kolonialer Kontexte. So ist vorgeschlagen worden, auch das Psalmenbuch in historischer Perspektive als Medium der Identitätsstiftung und des befreienden Widerstandes angesichts des assyrischen oder persischen Imperiums zu lesen (Berquist 2007, 200). Gleichzeitig wird zum anderen angefragt, wie Psalmen in hegemonialer Rhetorik Selbstuniversalisierungstendenzen stützen und über Konstruktionen von Zentrum und Peripherie sowie Othering selbst eine Ideologie der Unterwerfung fördern. In postkolonialer Perspektive sind diese Machtstrukturen zu dekonstruieren, um ihre Reproduktion zu verhindern und der Option des Psalmenbuches für die Armen und Unterdrückten Raum zu schaffen (Marzouk 2019, 237).
Wege aus der Ohnmacht. Klagepsalmen mit Traumahermeneutik lesen (Irmtraud Fischer)
Die frühere historisch-kritische Psalmenforschung hat Klagepsalmen mit „Stimmungs-umschwung“ nicht selten antijüdisch ausgelegt: Der doch recht einfältige Beter würde sehr rasch von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt hin und herschwanken, die geschilderte Bedrängnis müsse er also auch reichlich übertrieben haben. Die biblische Trauma- und Resilienzhermeneutik, die sich in den letzten 15 Jahren breit entwickelt hat, liest diese Texte jedoch nicht als spontane Klagegebete, sondern als wohldurchdachte Hilfen zur Traumabewältigung.
"Höre meine Stimme!” – “Can the subaltern speak?". Die Rezeption der Psalmen in der Liturgie (Egbert Ballhorn)
Werden Psalmen in der Liturgie verwendet, geht es nicht nur um „Machtdiskurse in den Psalmen“, sondern auch um „Machtdiskurse mit den Psalmen“. Wer gibt wem eine Stimme? Was geschieht durch Textauswahl und Neukontextualisierung von Psalmen in der Liturgie? Wer hat Macht über die Stimmen, die erklingen? Sowohl König David als auch Gayatry Spivak haben ein Wort beizutragen.
Psalmenrezeption im Islam (Mouhanad Khorchide)
Es ist grundsätzlich von der Präsenz der Psalmen im Entstehungskontext des Korans auszugehen. Nach der bekannten Arabistin und Koranforscherin Angelika Neuwirth ist im koranischen Milieu am ehesten mit Reflexionen von Bildern der Psalmen zu rechnen. Der Vortrag setzt sich in diesem Zusammenhang mit dem koranischen Allmacht-Begriff auseinander und geht auf seine Implikationen für die Legitimation von Macht und Herrschaft sowohl in der Geschichte als auch der Gegenwart des Islams ein.
Abstracts zu den Shortpapers
Session 1: Macht der Feinde
Von Zerstörern und Zerstörtem: "Ebenen" der Macht in Ps 74 (Florian Lippke)
Ps 74, an zweiter Stelle im dritten Psalmenbuch, hat als bemerkenswerter und durchaus einzigartiger Text im Psalter zu gelten: Die Zerstörung des Tempels wird an keiner anderen Stelle so ausführlich wie hier in poetischer Form geschildert. Zerstörungschilderungen sind ein ertragreiches Exerzierfeld für Machtdiskurse: Wer zerstört? Wer wird zerstört? Gibt es Szenarien, bei denen die Zerstörenden selbst zerstört werden bzw. die Zerstörten wiederum zu Zerstörenden werden? Diese Rollenfragen des Machtdiskurses zwischen JHWH, Volk Israel und den feindlichen Gruppen können im Rahmen einer religionsgeschichtlichen Einordnung von Ps 74 gewinnbringend beantwortet werden.
Leiblichkeit als Lektüreperspektive für Machterfahrungen in Psalm 129 (Lara Westermeyer)
Psalm 129 beschreibt Unterdrückungserlebnisse, die die Gefühlswelt des Lesenden ansprechen. Durch den Begriff der ‚Leiblichkeit‘ können diese Prozesse auf Ebene der Textstruktur aufgedeckt und theologisch eingeordnet werden. Die Ausübung von Macht zeigt sich in Psalm 129 als Überschreitung von Grenzen. Dabei spricht das Psalmen-Ich aus einer unterdrückten Perspektive, das von einem Kollektiv missbraucht wurde. Die Machterfahrungen werden dabei retrospektiv beschrieben, da das Psalmen-Ich von Gott gerettet wurde. Gottes Macht ist größer als die Macht der Unterdrücker. Für die Exegese von Psalm 129 eröffnen Aspekte von ‚Leiblichkeit‘ neue Perspektiven. ‚Leiblichkeit‘ ist ein phänomenologischer Schlüsselbegriff, mit dem die Körper- und Gefühlswelt eines Menschen gemeint sind. Eine Analyse unter diesem Blickwinkel deckt tiefliegende Prozesse auf Ebene der Textstruktur auf, sodass diese theologisch neu eingeordnet werden können. Das Kommunikationspotenzial mit dem Lesenden kann durch den Aspekt der Leiblichkeit analysiert werden. Dabei zeigen sich in der Struktur von Psalm 129 die Erfahrungen des Psalmen-Ichs und werden vor dem Hintergrund von Leiblichkeit ausgewertet.
Machtdiskurse der Psalmen im Spiegel des Ijobbuches (Juliane Eckstein)
Die Forschung am Buch Ijob ist bereits seit langem darauf aufmerksam geworden, dass das Ijobbuch Theologumena der Psalmen aufnimmt und bricht. Dies geschieht in dialogischer Form, indem Ijobs Freunde auf Topoi und Denkfiguren zurückgreifen, die sich auch in den Psalmen finden, und Ijob die Anwendung dieser Theologie auf sein eigenes Schicksal abwehrt. In dieser Dialektik zeigt das Ijobbuch die Grenzen psalmistischer Theologien auf und legt zugleich subtile Machtmechanismen der Psalmen offen. Dieses Short Paper stellt einige Fälle vor, in denen das Ijobbuch auf diese Weise Psalmen zitiert und travestiert. Es fragt im Licht des intertextuellen Vergleichs nach Machtmechanismen im Psalmenbuch und zieht zum Schluss Verbindungslinien zu heutigen theologischen und kirchlichen Diskursen.
Session 2: Göttliche Macht – menschliche Macht
Ps 139 zwischen Überwältigung und Selbstermächtigung (Philipp Graf)
Doris Reisinger hat jüngst in einem Artikel in Bibel und Kirche (1/2023) auf Dynamiken von Überwältigung im biblischen Gott-Mensch-Verhältnis hingewiesen. Die kirchliche Rezeption der Texte, die diese Dynamiken der Überwältigung enthalten, kann bei einer unreflektierten Übertragung auf die zwischenmenschliche Ebene asymmetrische Verhältnisse stabilisieren und sogar spiritualisieren. Als Beispiel führt sie explizit Ps 139 an, der als Reservoir für Taufsprüche und als Vorlage des bekannten Neuen Geistlichen Lieds „Von allen Seiten umgibst du mich“ bekannt ist.
Den Missbrauch biblischer Texte im Dienst asymmetrischer Machtstrukturen kann Exegese zwar nicht verhindern. Mit exegetischen Mitteln können aber zumindest Sinnpotenziale des Textes erhoben werden, die diesem Missbrauch zuwiderlaufen. Es erscheint daher sinnvoll, das in Ps 139 enthaltene Gott-Mensch-Verhältnis in einen gesamtbiblischen Horizont einzuordnen. Interessant sind dafür die häufig beobachteten Vernetzungen zum Buch Ijob. Deren Potenzial als „Framing“ des Psalms könnte darin liegen, in Ps 139 die Stimme eines Klagenden zu hören, der sich Gott selbstbewusst entgegenstellt und ihn zum Handeln auffordert, gerade weil Gott der Mächtigere ist.
Literatur
Agbagnon, Pater Jean Prosper, "Und die Nacht wird leuchten wie der Tag": Weltbild, Gottesbeziehung und Bewusstsein des Beters in Psalm 139 (HBS 92), Freiburg im Breisgau 2019.
Krause-Vilmar, Elisabeth, Nah ist und schwer zu fassen der Gott: Die ambivalente Beschreibung der Nähe Gottes in Jer 20, 7-18 und Ps 139 (WMANT 157), Göttingen 2019.
Reisinger, Doris, "Die Rolle der Bibel in der Tatanbahnung", in: BiKi 78 (1/2023), S. 3–9.
König oder Priester? Macht- und Messiasdiskurs in Ps 132 (Maximilian Häberlein)
Der traditionell als Königspsalm verstandenen Ps 132 wird in der neueren Forschung zumeist nachexilisch datiert (M. Saur, H.U. Steymans, F.-L. Hossfeld, E. Zenger). Dabei wird diskutiert, ob die Zusage JHWHs an einen “Gesalbten” (Ps 132,17-18; vgl. V.10) im Sinne einer monarchischen oder gar einer “messianischen” Erwartung i.S. einer eschatologischen Figur zu verstehen ist – oder im Gegenteil nicht-königlich.
Der Beitrag stellt der verbreiteten Fokussierung auf die davidische Tradition die Beobachtung entgegen, dass insbesondere den Priestern (V.9.16) konkrete Zusagen gemacht werden sowie die monarchischen Ansprüche in der Schwebe gehalten werden. Während königsideologische Aussagen auf die Priesterschaft übertragen werden, bleibt letztlich die genaue Identität des Gesalbten unklar. Ps 132 partizipiert so an einer Diskursform, die M. Novenson als “messiah language” bezeichnet und als “a particularly Jewish … way of talking about a basic social problem—determining who is and who should be in charge” umschreibt. Mittels “messiah language” unterläuft der Psalm königliche Herrschaftsansprüche und betont die JHWH-Herrschaft, die durch die von JHWH investierte Priesterschaft (V.7-9.13-16) garantiert wird. Durch Beobachtungen zur Ausstattung des Gesalbten sowie zur Stellung von Ps 132 innerhalb der Wallfahrtspsalmen wird gezeigt, wie die Rolle des Königtums durch ein vieldeutiges Spiel mit den Konnotationen von משׁיח relativiert wird.
Unser Gott ist im Himmel. Alles, was ihm gefällt, macht er (Ps 115,3). Machträume, Machbarkeiten und Ohnmacht in Ps 115 (Martin Nitsche)
In Ps 115 liegt vor allem eine theologische Argumentation vor, die von Apell und Frage in der Psalmeröffnung sichtbar gemacht wird. Ein Leitwort des Psalms ist das schlichte Allerweltswort „machen (עשׂה)“. Formen der Wurzel werden sowohl mit JHWH als Subjekt (3b.15b), als auch zur Bezeichnung der Götterbilderproduzenten als „Macher“ (8a) bzw. der entsprechenden Produkte selbst als „Machwerke“ (4c) verwendet. Der Kontrast zwischen JHWH und seinen Verehrern auf der einen und den Götterbildern mit ihren Produzenten auf der anderen Seite wird durch diesen Gebrauch von עשׂה weiter verschärft. JHWH macht sich (Himmel) und den Menschen (Erde) (VV 15-16) Räume und ist auf ein Machen durch Menschen nicht angewiesen, im Gegensatz zu den menschlichen „Machwerken“ der menschlichen Produzenten, die in dem Raum, in den sie gestellt sind, nichts machen können. So entstehen Macht- und Ohnmachtsräume, funktionierende und dysfunktionale Begegnungsräume zwischen Menschen und ihrem Gott / ihren Götterbildern. Die theologische Welt des Psalms ist dabei eine, die real bestehende Machtverhältnisse hinterfragt und deren Nachhaltigkeit in Zweifel zieht. Durchsetzen wird sich die Macht JHWHs am Ende gewiss – daran lässt der Psalm keinen Zweifel. Warum das in der Jetzt-Zeit der Psalmeröffnung offenbar nicht erfahrbar wird, ist die offene Frage des Psalms, die ihn in den Dialog mit anderen Psalmen führt, die in andere Weise mit der „Wo ist Gott“-Frage umgehen.
Session 3: Identitätsdiskurse
Wessen Perspektive zählt? Die Psalmen 137 und 138 als Träger innerjudäisch kontroverser Identitätsdiskurse (Veronika Bachmann)
Gerne wird Ps 137 als Rückblick auf die Notlage der nach Babylon Verschleppten verstanden, die sich einem spöttischen Machtgehabe der babylonischen Peiniger ausgesetzt sahen. Die Thematisierung einer Macht-Ohnmacht-Konstellation zwischen «Babylon» und «Israel» steht bei einer solchen Lesart im Zentrum. Speziell der Befund, dass der Psalm die Notlage aus einer späteren Perspektive schildert, hat allerdings auch zu Lesarten geführt, die im Psalm die Ideologie gewisser nachexilischer Kreise gespiegelt sehen, an der sich eine nachexilisch anzusetzende innerjudäische Identitätsdebatte festmachen lässt, die ihren Kristallisationspunkt an Spannungen zwischen judäischen Diasporakreisen und «Zurückgekehrten» hat (vgl. Krüger 2001; Berlejung 2013). Die Tatsache, dass Psalm 138 in Bezug auf ein Leben in der Fremde und explizit auch in Bezug auf ein Musizieren in der Fremde aus einer deutlich anderen Perspektive spricht, führt zur Frage, ob die beiden Psalmen eher komplementär oder eher kontrovers zueinander zu interpretieren sind. Würden die Befunde eher für Letzteres sprechen, läge in der Beziehung der beiden Psalmen zueinander exemplarisch ein Beleg dafür vor, dass Psalmen durchaus auch als Instrumente innerjudäischer Machtdiskurse in Identitätsfragen fungieren konnten.
Gesucht: Ein/e Psalmenbeter*in (m/w/d). Psalmen und Geschlecht (Mathias Winkler)
Ist die Sprechinstanz der Psalmen männlich, weiblich, non-binary oder geschlechtslos? Wenn man behauptet, den Psalmen sei nichts Menschliches fremd, die ganze menschliche Existenz spanne sich in ihnen betend-reflektierend vor Gott aus, dann wird die Frage nach dem Geschlecht (was auch immer man darunter versteht) des Beters* drängend. Denn ohne das Merkmal „Geschlecht“ (in welcher konkreten Ausformung auch immer) können wir uns Menschsein nicht vorstellen.
Die Psalmenforschung bedenkt das Thema „Geschlecht“ nahezu nicht, methodische und hermeneutische Reflexionen sind sehr rar. Versuchte man v.a. in den 1990er Jahren weibliche Stimmen oder Spuren spezifisch weiblicher Erfahrungen in einzelnen Psalmen sichtbar zu machen, postulieren jüngere Forschungen: Es ist ein Buch von und für Männer.
Das Short-Paper setzt an diesem Desiderat an. Die Auswirkungen hermeneutischer Vorentscheidungen hinsichtlich der Psalmenexegese auf das Thema „Geschlecht“ stehen im Vordergrund. Ob man den Einzelpsalm für sich oder in seinem Kontext der Nachbarpsalmen und Gruppen betrachtet, wie man den Beter* konzeptualisiert, noch bevor man sich an dessen Geschlecht heranwagt, ob man den Psalter als Buch für den öffentlichen Vortrag oder für die private Lektüre (oder für beides) versteht – dies alles hat Auswirkungen auf das vermutete Geschlecht des Beters*. Thesenartig soll der Problemhorizont umrissen und durch kurze Beispiele illustriert werden.
Ich, weiblich, Gott – Anthropologie in Ps 131 (Hannes Neitzke)
Auf die Lesung des MT „wie ein Säugling bei mir“ (Ps 131,2d) stützt sich die Annahme, Ps 131* sei aus der Perspektive einer Frau verfasst. Dieser Umstand wurde durch Kontextualisierung, Änderung der Konsonanten oder der Satzeinteilung von der Redaktion des Psalters (Zuschreibung an David) bis zu den meisten Kommentaren und modernen Übersetzungen getilgt und so das weibliche Subjekt unterschlagen (Ausnahme: Zenger!).
Der Vergleich des Beziehungsgefüges „Säugling – Mutter“ mit „Seele – JHWH“ wird in der Forschung unter dem Stichwort „Weibliche Eigenschaften Gottes“ breit rezipiert (dazu z. B. Jes 66,13), aus feministischer Perspektive aber ambivalent wahrgenommen. Positiv: Durch die Zuschreibung weiblich konnotierter Eigenschaften an Gott wird ein einseitig männliches Gottesbild aufgebrochen. Negativ: Bei der Verknüpfung von Säugling und Mutter handelt es sich um einen weiblichen Stereotyp, der so normative Kraft erhält, divinisiert und fortgeschrieben wird (so Oeming).
Nicht beachtet wird dabei der in Ps 131,2 ebenfalls vorliegende Vergleich der Beziehung „Säugling – ICH (Beterin des Psalms)“ mit „Seele – JHWH“. Die Beterin formuliert: „So wie ich in Bezug auf den Säugling bin, so ist JHWH in Bezug auf meine Seele“. Sie vergleicht sich selbst mit JHWH und beschreibt so eine weibliche Version von Gottebenbildlichkeit (vgl. Gen 1,26; Ps 8). Diese verdient gerade wegen der fatalen männlich-enggeführten ntl. Wirkungsgeschichte von Gottebenbildlichkeit (1 Kor 11,7) Beachtung.