Forschung am Seminar für Pastoraltheologie
Forschungsschwerpunkte
- Grundlagen der Praktischen Theologie
- Pastoraltheologie als Diskurskritik
- Analyse von Praktiken
- cultural turn in der Theologie
- Spätmoderne Konstellationen von Pastoral und Kultur
- Diskursbedingungen der Gegenwart
- Identitäten von Gemeinschaften
- Theologie im Dialog mit Literatur und Literaturwissenschaft
- Lektüre als Praktik der Vervielfältigung
- Methoden und Verfahren
- Literarische Ambivalenz und Entpositivierung
- Homiletik
- Predigtverfahren in der Spätmoderne
- Übersetzung und Fiktionalität
- Predigt als Literatur
Forschungsprojekte
Seit März 2020 arbeitet die interdisziplinäre Forschungsgruppe 2733 am Thema Transformation sakraler Räume. Die Transformation steht im Kontext eines umfassenden Strukturwandels innerhalb von Gesellschaft, Religion und Kirche, der sich als interdependent erweist, weswegen das Studium von Sakralraumtransformationen Erkenntnisse über diese grundlegenden Veränderungsprozesse ermöglicht. Die Forschungsgruppe hat das Ziel, anhand von zwei Vergleichsräumen (‚Aachen‘ und ‚Leipzig‘) Sakralraumtransformationen interdisziplinär zu analysieren und zu reflektieren, um die Prozesse im Blick auf Gebäude, Sozialräume und beteiligten Akteur:innen präzise zu beschreiben, das Aushandeln und Re-Konstruieren von Identitäten zu verstehen und Folgerungen für gelingende Prozesse der Sakralraumtransformation zu ermitteln. Im Erstantrag wurde als leitendes Ziel der Arbeit der Forschungsgruppe in den 72 Monaten der Projektlaufzeit die Erarbeitung einer praxisrelevanten Theorie des sakralen Raumes im 21. Jahrhundert genannt sowie die Bereitstellung von Koordinaten einer Kriteriologie zur Steuerung von Sakralraumtransformationsprozessen auf der Grundlage der Objektanalysen in den Untersuchungsräumen Aachen und Leipzig und der Zusammenführung der interdisziplinären Erkenntnisse. Aufgrund der bisherigen Forschungen und gemeinsamen Diskussionen wurde diese Zielstellung modifiziert und an den Erkenntnisprozess im Projekt adaptiert. Statt auf eine Theoriebildung zu fokussieren, sind aus heuristischen Gründen Praktiken des Sakralen bzw. Praktiken des Raumes in den Blick zu nehmen bzw. zu versammeln. Da Sprache Wirklichkeit schafft (etwa über Bezeichnungen) und nicht bloß abbildet, sind in der weiteren Forschungsarbeit die Begriffe des „Sakralen“ und des „Raumes“ kritisch weiterzuentwickeln. Dazu ist es nötig, die Wahrnehmungen aus den Objektuntersuchungen mit dem theoretischen Diskurs zu verbinden und im Blick auf die Machtverhältnisse in den Aushandlungsprozessen zu reflektieren. Der Begriff der „hybriden Sakralität“, der aufgrund der bisherigen Erkenntnisse anstatt des Begriffs der „säkularen Sakralität“ verwendet wird, soll bei dieser Reflexionsarbeit leitend sein. Darüber hinaus ist es Ziel der Forschungsgruppe, neben einem Beitrag zur Theoriediskussion um sakrale Räume im 21. Jahrhundert auch eine Hilfestellung für Akteur:innen von Sakralraumtransformationen bereitzustellen. Gegenüber dem im Erstantrag eingeführten Begriff der „Kriteriologie“ für gelingende Sakralraumtransformationen bietet es sich an, von der Entwicklung von „Kunstregeln“ (in Aufnahme der klassischen Terminologie Schleiermachers) zu sprechen, die in mittlerer Konkretion handlungsleitend für konkrete Prozesse vor Ort sein können.
Beschreibung des Teilprojekts am Seminar für Pastoraltheologie
Das geförderte Teilprojekt „Politiken der Grenze“ (FOR 2733, 2020-2023 und 2023-2026) findet am Seminar für Pastoraltheologie der Uni Bonn statt. In der ersten Phase arbeitete Dr. Rob Plum dazu aus phänomenologischer Perspektive. Seit 2024 forscht Dr.in Ellen Geiser im Teilprojekt zu Fragen einer politischen Ekklesiologie. Ziel dieses Projekts ist eine Neubestimmung des Sakralraumbegriffs. Zentral hierfür ist – nicht allein aus theologischer Perspektive – das Überschreiten langlebiger Dichotomisierungen (z.B. sakral/profan, Kirche/Welt, Innen/Außen). Dieses kann gelingen, indem Erkenntnisgewinne des spatial turn (ausgehend von Michel de Certeau) zusammengebracht werden mit derzeitigen kulturwissenschaftlichen Diskurssträngen zum Thema Versammlung und Gemeinschaft. Eine mit Hilfe eines Differenzdenkens ermöglichte Neubestimmung des Sakralraumbegriffs legt nicht nur dichotomische Rahmungen und binäre Praktiken offen, sondern ist von gesellschaftlicher Relevanz, insofern Versammlung (Gesellschaft und Gemeinschaft) mit Hilfe "anderer" Politiken (und damit mit Hilfe "anderer" Räume bzw. Raumvorstellungen) und nicht-essentialistischer Denkformen im Anschluss an den postcolonial turn (u.a. Homi K. Bhabha, Stuart Hall) zu denken gesucht wird.
Welche heuristischen Begriffe helfen, Praktiken des Sakralen bzw. Praktiken des Raumes in den Blick zu nehmen und zu versammeln? Beide Praktiken finden an Grenzen statt und können als Politik im Sinn von Versammeln und Ausschließen verstanden werden. Von hier aus ergibt sich als zweite Leitfrage: Welche Transformationen der „Ekklesia“ gehen mit Sakralraumtransformationen einher?
Am Projekt beteiligt sind die Disziplinen Kunstgeschichte, Architekturwissenschaft, Ökonomie, Liturgiewissenschaft und Praktische Theologie.
- Sakralraumtransformation. Funktion und Nutzung religiöser Orte in Deutschland (DFG-Projekt FOR 2733, Bewilligung: 2019). Weitere Informationen: https://www.transara.uni-bonn.de/de
Das Wort und der Begriff der „Identität“ erfahren derzeit eine Renaissance und nehmen eine zentrale Rolle im gegenwärtigen Diskurs ein. Dieser verschiebt sich fast unbemerkt: Sagbar wird, was vor Jahren unsagbar schien.
Der Begriff „Identität“ wird im Forschungsessay als politische Praktik gelesen und kulturwissenschaftlich analysiert. Was heißt es, wenn Identitäten durch einen „gap“, einen Abstand oder Spalt und durch Unterscheidungen gebildet werden, durch Unterscheidungen von „us and them“, Eigenem und Fremdem, weiß und schwarz, Mann und Frau u.a.m. Denn die Art und Weise, wie Identitäten verfertigt und durchgesetzt werden, hat Konsequenzen für das Zusammenleben.
Wie werden Identitäten verfertigt und mit welchem Interesse und mit welchem Ziel und wie könnte man alternativ verfertigen? Alternativen finden sich in besonderer Weise in der Literatur. In literarischen Texten finden sich sprachliche Erprobungen und Kritiken bestimmter Verfertigungen von Identität und das häufig, bevor kulturwissenschaftliche Theorien diese konzeptualisiert haben.
Die hier zusammengebrachten, exemplarischen Fährten – Liebe und Gender, Stadt und Hybride, Othering und Religion – kulminieren in der unmöglichen Möglichkeit einer unbedingten Gastfreundschaft. Die Denkfigur des Unbedingten hilft, den gegenwärtigen politischen Diskurs um Identität(en) zu deuten und zu erweitern. Sie führt zu alternativen Positionen, die unablässig den flüchtigen Ort der Grenze durchlaufen. Das Verständnis von Identität wird so zu einer Frage der Haltung und zwar zu einer Haltung der Gerechtigkeit.
Rezension von Martin Sexl (Auszug):
„Der Paradoxa des Denkens, in der eine jede Form von seriöser (De-)Konstruktion notwendigerweise gefangen bleibt, sind sich die beiden Autor*innen nicht nur bewusst, sondern sie thematisieren diese ganz explizit. Und erst wenn die Setzungen und Festschreibungen von Identitätskonzepten und damit auch die des (darüber) Schreibens – also die vermeintlich objektiven Theorien und Konzepte der Wissenschaft ebenso wie die, immer in Texten formulierten, legistischen Rahmenbedingungen all unseres Handelns – als kontingent markiert sind, wird der Raum frei für andere Setzungen, andere Perspektiven und andere (gesetzliche, moralische) Regelungen, die allerdings ebenfalls nur kontingent sein können, also »bedingungslos« und »unbedingt« sind. […] Das Buch stellt auch eine kleine Literaturgeschichte von Identitäts(de)konstruktionen dar. Literatur kann bestehende Identitätskonstruktionen weiterschreiben und verfestigen oder auch kritisch hinterfragen, in dem sie »gesellschaftliche Narrative auch als Konstruktionen bloßlegen [kann], etwa durch Metafiktionalität oder Ironie« (S. 22). Auch die philologischen Wissenschaften (zu denen man auch die Rechtswissenschaften und die Theologie zählen kann) können festschreibend wirken oder öffnen – was Schwens-Harrant und Seip etwa bei der Betrachtung der Auslegung religiöser Gründungstexte demonstrieren, bei denen es »absolute und literarische, fundamentalistische und religiöse Lesarten gibt« (S. 115).“ (28.03.2019, abrufbar unter: http://www.literaturhaus.at/index.php?id=12390)
Publikation:
Brigitte Schwens-Harrant / Jörg Seip, Mind the gap. Sieben Fährten über das Verfertigen von Identitäten, Wien 2019.
Nicht erst Michel de Certeau hat das Lesen mit dem Gehen verglichen: Lektüre ist keine Linearisierung, sondern eine Vervielfältigung. Fußgänger sind keine Voyeure. Vom Fließen der Schrift sprechen schon Mystikerinnen im 13. Jh. und zeigen darin eine Alternative zu üblichen Lektürepraktiken auf, eine Lese- und Wanderweise, die sich synchron kultur- und religionsübergreifend wie auch diachron durch die Zeiten hindurch finden läßt.
Das Paradox vor dem Leserinnen und Leser stehen, ist das Ausbalancieren von Stehen und Weitergehen, von Buchstaben und Geist, von Statischem und Fließendem – das heißt: die Schwierigkeit besteht darin, Lektüren einerseits zu kartieren – das tut unter anderem auch ein Lexikon – und andererseits Lektüren im Fließen zu halten.
Die Metapher der Seefahrt greift dieses Paradox auf: zwar befährt das Schiff den glatten Raum des Meeres, zugleich kerbt und kolonialisiert es diesen. Das Bild beschreibt das Leid, das mit Auslegungen einhergeht und mit Bedeutung sich einstellt. „Schrift ahoi“ ist ein Versuch, dieses Paradox auszuhalten. Das Methodenbuch führt literarisch in Ansätze und Verfahren der Lektüre ein auf eine Weise, die die subversive Kraft der Literatur zu achten sucht. Wie?
Derzeit gängige literaturwissenschaftliche Verfahrensweisen werden in der Literatur aufgesucht. Leitende These war: Die Literatur praktiziert vor der nachträglichen Theorie. Der lexikalisch angelegte Band versammelt Methoden und Verfahren (Hermeneutik, Intertextualität, Semiotik, Dekonstruktion, Diskursanalyse), Erzähltheorien (Textstrategien, Fiktionalität, erste und letzte Sätze, literarische Figuren, Motive u.a.) sowie Rezeptions- und Übersetzungstheorien.
Ein Inhaltsverzeichnis mit Lemmata, Methoden und Verfahrensweisen finden Sie hier: PDF-LINK.
Publikation:
Brigitte Schwens-Harrant / Jörg Seip, Schrift ahoi! Literatur als Seefahrt. Ein Lexikon, Wien 2013.
Rezensionen:
Barbara Schaefer, Wer hat geweint? Ein literarisches Lesebuch wird zum gehobenen Lexikon, in: Mare Heft 12 (2013); Thilo Körting, Auf Lesereise. Zwischen den Stühlen, Lokalradio der Universität Leipzig am 24.12.2013, http://mephisto976.de/news/alt/auf-lesereise-22728 (3:09‘); Wolfgang Straub, Von Ablegen über Passagier bis Vertäuen, in: Die Presse vom 14.2.2014; Holger Schlodder, Bojen auf dem Büchermeer, in: Darmstädter Echo vom 24.3.2014; Stefan Gmünder, Alles Verstehen ist ein Übersetzen, in: Der Standard vom 2.5.2014; Thomas Leitner, Schrift ahoi, in: Falter vom 18.6.2014 (Nr. 25/14, 28); Ingeborg Waldinger, Meer der Literatur, in: Wiener Zeitung vom 10.8.2014; Ö1: Pasticcio am 27.8.2014.
Theologie, Literatur und Literaturwissenschaften sind seit Anfängen eng aufeinander verwiesen und miteinander verwoben – schon aufgrund des Faktums, daß die Bibel ein literarischer Text ist. Schon die Alte Kirche hat sich die Methode der Schriftsinne von der profanen Homerinterpretation ausgeborgt und auf ihre literarischen und heiligen Texte zugleich angewandt.
Eine Konzeptualisierung und Verhältnisreflexion von Theologie, Literatur und Literaturwissenschaften in der Gegenwart kann mit der Tübinger Tagung „Theologie und Literatur“ (1984) angesetzt werden und setzt sich über die drei Innsbrucker Tagungen „Religion – Literatur – Künste“ (1998-2001) und die Würzburger Tagung „Schreiben ist Totenerweckung. Theologie und Literatur“ (2005) fort.
Ein Dialog, zwei Disziplinen. Beide produzieren und interpretieren Texte, bewahren sie auf, nehmen sie auseinander. Der Forschungsband „Der geplünderte Tempel“ hebt eine Zwischenbilanz der interdisziplinären Gespräche und regt künftige Forschungsfragen an. Er setzt sich mit einer „materialen“ bzw. auf Inhalte verengten Literaturrezeption kritisch auseinander und stellt die Auseinandersetzung um Form und Modus literarischer Sprache in den Mittelpunkt. „Der geplünderte Tempel“ vereint kulturwissenschaftliche Essays über profane und heilige Literatur, verzweckte und wilde Lektüren, inhaltliche und formale Interessen und die Frage, wie man das Verhältnis von Literatur und Religion denken kann. Auf eine kritische Bestandsaufnahme folgen Wege, wie der Diskurs beschreitbar wird und bleibt.
Publikation:
Brigitte Schwens-Harrant / Jörg Seip, Der geplünderte Tempel. Ein Dialog, Wien 2012.
Rezensionen:
Cornelius Hell in: Quart. Zeitschrift des Forums Kunst-Wissenschaft-Medien (2012) 26-27 (Heft 2); Otto Friedrich in: Die Furche Nr. 9 vom 1. März 2012, 18; Hans-Rüdiger Schwab in: StZ 137 (2012) 788-789 (Heft 11); Gotthard Fuchs, Literatur der Leerstellen in: CiG Nr. 16 (2016) 175.